Donnerstag, 12. April 2012

Am Kern vorbei

Die Debatte, die Günther Grass mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ hierzulande losgetreten hat, spaltet die öffentliche Meinung in einem erstaunlichen Ausmaß. Sie zeigt auch inwieweit der gesellschaftliche Diskurs durch ideologische Verkrampftheit verzerrt wird.
Ganz offensichtlich ist es noch nicht gelungen, eine distanzierte Sichtweise auf die Weltpolitik zu erlangen, zumindest, was den Nahen Osten betrifft. Das ist gefährlich, denn gerade in dieser fragilen Weltregion, wo unvereinbare Ideologien und Ansprüche aufeinandertreffen und für höchste sicherheitspolitische Instabilität sorgen, wäre eine rationellere Sichtweise so wichtig.
Die nüchterne Einschätzung der Komponenten dieses Konfliktes darf, auch wenn Israel sicher nicht ungerechtfertigte Kritik trifft, nicht mit der unrühmlichen deutschen Vergangenheit verquickt werden. Das ist nicht zielführend. Auch sollte zukünftig auf der politischen Agenda deutscher Regierungen nicht mehr die vorbehaltlose Blanko-Versicherung stehen, Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson zu zählen. Eine solche Parteinahme erschwert die Schiedsrichterrolle und kann im Zweifelsfall in die Bredouille führen. Auf der anderen Seite verbietet es nicht, Israels Sicherheit auf anderem Wege zu garantieren.
Es bedeutet keinesfalls, zuzusehen, wie der Iran Pläne schmiedet, den Staat Israel von der Landkarte zu tilgen. Das Existenzrecht Israels anzuerkennen schließt aber nicht aus, die israelische Politik zu hinterfragen. Wenn man mit der vielzitierten Staatsräson argumentieren will, dann muss der Erhalt des Friedens im Nahen Osten als oberstes Ziel angegeben werden. Gerät diese ohnehin instabile Region in den Strudel eines großen Krieges, dann wären die Folgen auf lange Sicht unabsehbar. Zumal mit dem Irak und Afghanistan bereits bedenklich wankende Staaten zwischen Bürgerkrieg und Chaos taumeln. Die durch den Arabischen Frühling hervorgerufenen politischen Eruptionen vereinfachen die Lage auch nicht unbedingt.
Israels ungelöstem Konflikt mit den Palästinensern kommt eine Schlüsselrolle in Bezug auf die Sicherheit im Nahen Osten zu. Die Situation ist jedoch so komplex, dass einfache Schuldzuweisungen ebenso wenig weiterhelfen, wie vorschnelle Präventivschläge. Es ist verständlich, dass sich Israel vom islamischen Extremismus und dem iranischen Atomprogramm bedrängt fühlt. Es ist auch nachvollziehbar, dass Israel nicht darauf warten will, bis der Iran den ersten Schritt zu einer tödlichen Eskalation dieses Konflikts wagen wird, um dann völkerrechtlich korrekt zurückzuschlagen. Einmal davon abgesehen, dass dies nicht dem Stil der israelischen Sicherheitspolitik entspricht. Doch muss sich Israel vor Augen führen, welche Risiken ein offener Angriff, etwa durch einen Luftschlag, birgt.
Auf der anderen Seite sollten aber auch die Beweggründe des Iran mit in die Überlegungen über einen solchen Präventivschlag einfließen. Welches Interesse hätte der Iran an einem in seiner Dauer wie in den Folgen unabsehbaren Krieg mit Israel? Geschwächt durch die jahrelangen wirtschaftlichen Sanktionen und Embargos besteht die Gefahr, dass das politische System des Iran durch einen Krieg erodiert. Gerade wegen der angespannten Sicherheitssituation rund um das iranische Staatsterritorium kann man dem Iran aber auch nicht verdenken, dass er sich gegen vermeintliche Bedrohungen zu wappnen versucht. Natürlich versucht der Iran auch, sich als eine Macht im Nahen Osten zu etablieren, die Voraussetzungen dafür sind nicht unbedingt schlecht. Und Vorbilder, die zeigen, dass es sich mit einer Atombombe in der Hinterhand leichter protzen lässt, gibt es durchaus.
Dem iranischen Großmachtstreben und anti-israelischen Vernichtungsphantasien muss Einhaltgeboten werden, keine Frage. Diese Einsicht gebiert nicht aus der historischen Verantwortung gegenüber Israel seitens Deutschlands, sondern dem Interesse an einer dauerhaften Friedensordnung. Dem Frieden im Nahen Osten wäre es jedoch zuträglicher, wenn weiterhin die Diplomatie das Feld beherrschen würde, anstelle von Raketen und Bomben.
Es ist sicher nicht falsch gedacht von Günther Grass, wenn er das vom Westen geduldete israelische Atomwaffenarsenal, das sich jeglicher internationalen Kontrolle entzieht, als ein Faktum begreift, das für erhebliche Unruhe im Nahen Osten sorgt. Auch die Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels trägt nicht zum Frieden bei. Das muss man auch in Deutschland sagen dürfen, ohne als Antisemit zu gelten.
Wenn man die Politik der Eskalation, die Israel derzeit im Nahen Osten treibt, kritisiert, dann ist man kein Antisemit, sondern Realist. Eine realistische Einschätzung der Situation sieht natürlich auch die iranische Strategie der sukzessiven Eskalation nicht ohne Sorge. Aber den Israelis nahezulegen, auch ihren Teil zum Erhalt des Friedens im Nahen Osten beizutragen, darf nicht diffamiert werden.
All jene Meinungen, die nach dieser Lesart argumentieren, haben den Kern des Problems nicht begriffen. Es geht nicht darum, irgendjemandem die Schuld an einem möglichen Krieg anzulasten, sondern ihn zu verhindern. Es geht auch nicht darum, die Israelis aus rassistischen Motiven heraus zu kritisieren. Niemand hat ein Interesse daran, dass das Pulverfass im Nahen Osten explodiert. Israel nicht, der Iran nicht und auch der Rest der Welt nicht. Gewaltfreie Lösungsansätze sind hochwilkommen –das verpflichtet aber dazu, seinen Gesprächspartner als solchen zu akzeptieren. Das gilt für beide Seiten. Beide Parteien, haben es in der Hand, entweder Chaos zu stiften oder eine friedliche Lösung auszuarbeiten.
Sind die Gedankengänge der Konfliktparteien genauso verengt, wie manche Beiträge und Kommentare in den deutschen Medien, dann lässt sich erahnen, wie schwierig es ist, Frieden im Nahen Osten zu stiften.

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